Im Rahmen des University Day 2024 "Exploring Nature Around the World” erstellten Florian Jean-Luc Rozée und Colin Joel Schmid vom Hegau-Gymnasium unter der Leitung von Dr. Norina Procopan, Cinthia MiSaka und Antonieta Martínez eine Zusammenfassung über den Workshop Autismus.
Die Autismus-Spektrum-Störung (ASD) ist individuell ausgeprägt und beeinflusst Sprache, Motorik sowie sensorische Fähigkeiten. Die Ursachen liegen in Veränderungen spezifischer Hirnregionen wie dem präfrontalen Kortex, dem Gyrus fusiformis, der Amygdala und dem Kleinhirn, die entscheidend für soziale und motorische Fähigkeiten sind. Geschlechtsunterschiede in der Diagnostik wurden dabei thematisiert, sind jedoch auf mangelnde Forschung und die Unterschiede in der sprachlichen Entwicklung zurückzuführen.
Diese Unterschiede wirken sich auf alle Ebenen der Sprachverarbeitung aus, von der Lautbildung bis hin zur Pragmatik. Übungen verdeutlichen dabei insbesondere Herausforderungen in der sensorischen Verarbeitung und der nonverbalen Kommunikation. Zudem wurden Überschneidungen mit ADHS und sensorische Empfindlichkeiten als weitere relevante Aspekte diskutiert. Die Teilnehmenden konnten so einen weitreichenden Einblick in die Lebensweise und Herausforderungen von Menschen mit Autismus erhalten.
Haben wir Ihr Interesse geweckt?
Im nachfolgenden Text können Sie weitere Informationen erhalten:
Ablauf
- Grundlagen
- Neurowissenschaft hinter dem Autismus
- Klarstellung
- Sprache
a) linguistic sensory challenges
b) non-verbal emotional expression
5. Diskussion
1.Grundlagen
“Die Autismus-Spektrum-Störung (ASD) ist eine neurologische Entwicklungsstörung, die sich darauf auswirkt, wie eine Person die Welt sieht und mit ihr interagiert. Es ist nicht etwas, das „geheilt“ werden muss; Es ist eine Art zu sein und das Leben zu erleben, die sowohl einzigartige Stärken als auch Herausforderungen mit sich bringt.”
Es wird üblicherweise die Fehlannahme gemacht, dass das Autismus-Spektrum lediglich aus zwei Extremen besteht, allerdings umfasst das Autismus-Spektrum verschiedene Konditionen: Sprache, motorische Fähigkeiten, sensorische Fähigkeiten, Wahrnehmung, exekutive Funktionen und Sprache. Eine Autismus Diagnose hängt daher von vielen komplexen Faktoren ab und die Ausprägung in den einzelnen Kategorien variiert; somit ist die Diagnose individuell. Die alte Einteilung in "funktionelle Autisten” durch das Asperger-Syndrom ist veraltet und findet demnach wie die links/rechts Einteilung keine Verwendung mehr.
Es wurde hierzu eine Frage gestellt: “Wieso wird Autismus häufiger bei Jungen diagnostiziert?”
- Erkennung durch frühe Fehlentwicklung bei der Sprache; Mädchen weisen oft eine bessere sprachliche Entwicklung auf und können somit schwerer diagnostiziert werden.
- Forschung bei Jungen ist üblich, erst in den letzten Jahren hat sich die Forschung auf Mädchen ausgebreitet und somit kann diese Diskrepanz erklärt werden.
2. Neurowissenschaft hinter dem Autismus
- Präfrontaler Kortex: Verantwortlich für das Treffen von Entscheidungen und die Einschätzung sozialer Interaktionen.
- Gyrus fusiformis: Hilft bei der Erkennung von Gesichtern und unterstützt die Interpretation sozialer Aktivitäten.
- Amygdala: Hier werden Emotionen verarbeitet und Gesichtsausdrücke erkannt.
- Kleinhirn: Ist tragend bei der Koordination und Bewegung
Menschen aus dem Autistischen Spektrum zeigen vermehrt Unterschiede in diesen vier Bereichen. Es kann ebenfalls beobachtet werden, dass die Verbindung zwischen naheliegenden Teilen des Gehirns stärker ist und schwächer bei weiter entfernteren Teilen. Autisten können somit häufig Inselbegabungen aufzeigen. Sie können aber auch oft eingeschränkt sein und können Schwierigkeiten in sozialen Situationen erleben. Ebenso ist die Einschätzung von Gefühlen deutlich erschwert und durch das Kleinhirn die Motorik oft beeinträchtigt.
Es wurde eine Zwischenfrage gestellt: “Wie werden Gefühle von Menschen mit ADS reguliert, sind Aggressionen hier üblich?”
Jeder Betroffene kann hier eigene Strategien entwickeln, um die Hürde zu überwinden. Es scheint zwar so, als “würden sie einen Wutanfall bekommen”, was jedoch nicht stimmt. Dadurch, dass die Amygdala anders funktioniert, werden Emotionen anders verarbeitet. Es kann also zu einem aggressiveren Verhalten kommen, ohne es zu wollen. Oft dauert es bis zum Erwachsenenalter, um tatsächlich diese Ausbrüche kontrollieren zu können.
3. Klarstellung
“Diese Unterschiede definieren nicht, wer jemand ist oder was er erreichen kann, aber sie helfen zu erklären, warum Menschen mit Autismus möglicherweise anders mit der Welt interagieren als neurotypische Personen.“
Autismus wird nicht durch Impfungen oder falsche Erziehung verursacht, sondern hat biologische und genetische Ursachen. Wissenschaftler erforschen weiterhin die Hintergründe, wissen jedoch, dass sowohl genetische als auch Umweltfaktoren eine Rolle spielen, auch wenn es keine eindeutige einzelne Ursache gibt.
4. Sprache
Das Diagramm „Language in ASD“ beschreibt, wie Autismus die verschiedenen Ebenen der Sprachverarbeitung beeinflussen kann. Diese Ebenen zeigen, wie tiefgreifend Autismus die Sprachentwicklung und das Sprachverständnis auf verschiedenen Ebenen beeinflussen kann, von Lauten bis hin zu sozialer Kommunikation. Diese sind in Kreisen angeordnet:
Phonetik: Schwierigkeiten bei der Produktion oder Unterscheidung einzelner Laute.
Beispiel: Unterschied zwischen "pig" (stimmhaft) und "pick" (stimmlos).
Phonologie: Probleme beim Erkennen von Klangmustern innerhalb von Wörtern oder Phrasen.
Beispiel: Reime oder Silbenmuster korrekt zu erkennen.
Morphologie: Herausforderungen mit grammatikalischen Formen wie Zeitformen.
Beispiel: "He walks" ("Er geht") vs. "He walked" ("Er ging").
Syntax: Schwierigkeiten mit dem Verständnis oder der Bildung komplexer Sätze, insbesondere mit eingeschobenen Nebensätzen.
Beispiel: "The boy who won the game is my friend" ("Der Junge, der das Spiel gewonnen hat, ist mein Freund").
Semantik: Probleme mit der Bedeutung von Wörtern und Sätzen, einschließlich Mehrdeutigkeit.
Beispiele:
Mehrdeutigkeit: "The bat flew away" ("Die Fledermaus flog weg oder Der Schläger flog weg").
Pragmatik: Schwierigkeiten, Sprache im sozialen Kontext richtig anzuwenden, z. B. bei der Verwendung von Pronomen oder referentiellen Ausdrücken. Beispiele hierzu sind:
- Metaphern: "I could eat a horse" ("Ich könnte ein Pferd essen – bedeutet extremen Hunger")
- Pronomen: Probleme bei der richtigen Verwendung.
Das Sprachprofil von Menschen mit Autismus-Spektrum-Störungen (ASD) zeigt unterschiedliche Ausmaße. Während einige Personen über normale pragmatische Sprachfähigkeiten verfügen, leiden andere unter Sprachbeeinträchtigungen oder sind “minimal verbal”, ihre sprachliche Ausdrucksfähigkeit ist also stark eingeschränkt. Häufig ist bei diesen Personen eine Verzögerung in der Sprachverarbeitung festzustellen, die sowohl das Verständnis als auch die Verwendung von Sprache beeinträchtigt.
Charakteristisch für Menschen mit ASD ist zudem, dass sie oft als „ungewöhnlich“ wahrgenommen werden, sei es aufgrund ihres Verhaltens oder ihrer Interessen. Ihre Kommunikation kann individuell unterschiedlich ausgeprägt sein. Trotz dieser Herausforderungen bleibt zu betonen, dass Menschen grundsätzlich soziale und emotionale Wesen sind, deren Kommunikationsfähigkeit – unabhängig von ihrer Form – Ausdruck ihres sozialen Wesens ist.
Mit diesen Aktivitäten wird aufgezeigt, wo Herausforderungen in sozialen Interaktionen liegen können.
- Sprachlich-Sensorische Herausforderungen
Den Teilnehmenden wurde die Aufgabe erteilt, sich in Gruppen aus drei zusammenzutun. Eine Person erzählt den anderen Zwei eine Geschichte, während der Rest des Workshops als Ablenkung Lärm verursacht:
Für die Zuhörer war die Erfahrung überfordernd, es war schwer, sich auf die Geschichte zu konzentrieren. Durch den großen Lautstärkepegel war es zudem kompliziert, die Geschichte von den Geräuschen von außen zu trennen. Der schwerste Teil für viele war es aber, einzelne Worte von außen zu hören oder direkt angesprochen zu werden. Es zeigte sich, dass ebenso Fragen eine Herausforderung darstellen können, da das Gefühl entstehen kann, dass man antworten muss. Aufmerksamkeit und fokussiert sein, war essentiell, aber beides kann leicht in solch einem Chaos verloren werden.
- Nonverbaler Ausdruck von Emotionen
Die Teilnehmern wurden gebeten, einzeln nach vorne zu kommen, um eine Emotion visuell aufzuzeichnen. Der Rest des Workshops hatte die Aufgabe, diese richtig zu erraten:
Die Erkenntnis dabei war, dass viele Gefühle sehr ähnlich aussehen; ob jemand nun motiviert, selbstsicher oder fröhlich ist, könne auf den ersten Blick schwer zu unterscheiden sein. Oft könne es schwer sein, eine Emotion lediglich anhand eines Gesichtsausdrucks zu erkennen. Demnach würde der Kontext benötigt werden, damit eine akkurate Identifikation der Emotion erfolgen kann. Insbesondere wenn mehrere Emotionen gleichzeitig vorliegen, könne dies weiter erschwert werden.
5. Diskussion
- Frage: „Inwiefern kann man ADS mit anderen Neurodivergenzen vergleichen, vor allem mit ADHS?”
Dazu gab die Workshopleitung folgende Antwort: Es kann zu Überschneidungen kommen. Autismus kann in Kombination mit zum Beispiel ADHS auftreten. Auch bei Autismus kann es zu einem Aufmerksamkeitsdefizit kommen, auch wenn die Ursachen für ADHS sehr unterschiedlich sind.
- Eine weitere Frage aus dem Teilnehmerkreis: “Gibt es einen Zusammenhang zwischen Geschmäckern und der Textur?”
Antwort: Da es bei Autismus zu einer Einschränkung der sensorischen Fähigkeiten kommen kann, ist das möglich. Einige Betroffene mögen das Gefühl von Gras oder Sand an ihren Füßen nicht.
- Weiterer Hinweis der Experten: Das Internet stellt auch einen großen Orientierungspunkt für Menschen mit Autismus dar. Es ist beobachtbar, dass Betroffene ein überspieltes Verhalten aus Filmen oder Videos übernehmen können.
- Das Stimmungsbild unter den an dem Workshop Teilnehmenden zeigte eindeutig, dass der Workshop als fördernd betrachtet wurde.